Unterhaltsrechtliche Rechtsverhältnisse mit Auslandsbezug

I. Einstieg

Sobald ein Familienmitglied eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder der reguläre Aufenthaltsort sich im Ausland befindet, stellen sich  sofort Fragen hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Auslandsbezüge.

Macht beispielsweise eine von ihrem in Danzig ( Polen) wohnenden Ehemann getrennt lebende Ehefrau, welche mit dem  gemeinsamen minderjährigen Kind in Hamburg wohnt, Unterhalt geltend, dann stellen sich mehrere Fragen:

Kann der Kindesunterhalt vor einem Gericht in Hamburg geltend gemacht werden ? Falls ja, ist dann polnisches oder deutsches Recht anwendbar.

Kann der Kindesunterhalt vor einem  Gericht in Polen geltend gemacht werden ? Falls ja, stellt sich wieder die Frage, welches Recht anwendbar ist.

Unterhaltsansprüche mit Auslandsbezug

Bis zum Jahr 2011 galt für Unterhaltsansprüche mit Auslandsbezug Art. 18 EGBGB.

Verfahrensrechtliche Einzelheiten richten sich nunmehr für die Mitglieder der europäischen Gesetzgebung nach der VO Nr.4/2009, EuUnterhaltsVO. Für nicht gebundene Staaten ist das Haager Überreinkommen 2017 entscheidend. Für die entsprechende Rechtsanwendung wird auf Art. 15 EuUnterhaltsVO des Haager Unterhaltsprotokoll verwiesen.

II. EuUnterhaltsVO – deutsches AusfG, AUG

Fraglich ist zunächst, ob das Herkunftsland der Betroffenen ein entsprechender Mitgliedstaat ist. Durch die ergangene VO Nr.4/2009 sind die europäischen Mitgliedstaaten außer Dänemark an diese Verordnung gebunden.

Dessen Vorschriften richten sich nach dem andauernden gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten, sodass, sofern die eigenen Voraussetzungen erfüllt sind, die teilnehmenden Staaten diese anwenden. Das vereinigte Königreich und Irland wirken bei der Verordnung mit, allerdings ist nur Irland auch der HUP beigetreten.

Welches Gericht ist für Unterhaltssachen mit Auslandsbezug zuständig ?

Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach Ar. 3 EuUnterhaltsVO für Unterhaltssachen optional bei den Gerichten des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Unterhaltspflichtigen, oder aber bei dem der unterhaltsberechtigten Person. Dadurch ergibt sich für den Anspruchsteller eine Begünstigung hinsichtlich des gesamten Ablaufes.

In unserem Ausgangsfall hätte die Kindesmutter die Wahl. Sie könnte den Kindesvater vor dem Gericht in Danzig verklagen oder den Kindesunterhalt vor dem für sie zuständigen Gericht in Hamburg geltend machen.

Art. 6 EuUnterhaltsVO bietet eine Auffangzuständigkeit, sofern sich keine Zuständigkeit aus Art. 3-5 EuUnterhaltsVO bei einem Gericht eines Mitgliedstaates ergibt. Dann entscheidet die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Somit schafft die EuUnterhaltsVO eine einheitliche begründete internationale Zuständigkeit unter Bezugnahme der Mitgliedstaaten des LugÜ. Aus Art. 7 EuUnterhaltsVO ergibt sich die Notzuständigkeit.

Bestehen keine Zuständigkeiten bei den Gerichten eines Mitgliedstaates nach Art. 3-6 EuUnterhaltsVO können die Gerichte nach ihrem Ermessen in Ausnahmefällen über den Rechtsstreit  entscheiden, sofern es als unmöglich erscheint, ein Verfahren in einem Drittstaat einzuleiten.

Es bedarf jedoch eines ausreichenden Bezugs zu dem jeweiligen Mitgliedstaat, sowie beispielsweise bei Vermögen des Anspruchsgegners dort, wo der Anspruchssteller Zugriff erhalten kann.

Vor welchem Gericht kann ich einen Unterhaltstitel abändern ?

Abänderungsverfahren sind in Art. 3 ff. EuUnterhaltsVO benannt, falls die unterhaltsberechtigte Seite aktiv wird, währenddessen Art. 8 I EuUnterhaltsVO für den Unterhaltspflichtigen eine Sperrwirkung erzeugt, solange dieser seinen regulären Aufenthalt in dem Staat hat, in dem die Entscheidung ergangen ist.

Für Gerichtsstandvereinbarung gibt Art. 4 EuUnterhaltsVO diverse Einschränkungen vor, wie beispielsweise hinsichtlich der Schriftform oder der wahlweise ausreichenden dauerhaften Aufzeichnung nach elektronischer Übermittlung.

Gibt es Besonderheiten bei der Zustellung von Anträgen/ Schriftstücken ?

Anders als nach den deutschen verfahrensrechtlichen Regeln bestimmt Art. 9 EuUnterhaltsVO die Rechtshängigkeit dahingehend, dass der Antragssteller alles Notwendige getan haben muss, um die Zustellung seiner Anträge zu betreiben. Grundsätzlich gilt das Gericht bereits dann als angerufen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück bei Gericht eingeht.

Deutsches Ausführungsgesetz -AUG

Zur Durchführung der Anwendung der EuUnterhaltsVO gelten für uns die Grundlagen des AUG vom 23.05.2011, welche diverse auf EU rechtlicher Ebene geschlossene Abkommen inkludiert und abdeckt.

III. Haager Unterhaltsprotokoll

Es stellt sich im Weiteren die Frage, welches Recht anwendbar ist. Im Ausgangsfall ist somit zu prüfen, ob sich der Anspruch auf Kindesunterhalt nach polnischem oder nach deutschem Recht bestimmt.

Unter den EU-Mitgliedstaaten gilt für die Rechtsanwendung für Unterhaltssachen mit Auslandsbezug das Haager Unterhaltsprotokoll (HUP). Nach der Verweisungsregel des Art. 15 Eu-UnterhaltsVO kann auch das Recht eines Staates für maßgeblich erklärt werden, welcher dem Protokoll nicht beigetreten ist.

Können sich die Beteiligten nicht auf eine Rechtswahl verständigen, dann findet nach Art. 3 HUP auf Unterhaltspflichten das Recht des Staates Anwendung, in dem die unterhaltsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Denn dort entsteht ihr Lebensbedarf und dort ist dieser auch zu erfüllen. In unserem Ausgangsfall wäre in jedem Falle deutsches Rechts anwendbar, wenn der Kindesunterhalt vor einem Familiengericht in Hamburg geltend gemacht wird.

Entscheidet sich die unterhaltsberechtigte Person, den Unterhalt in dem Land geltend zu machen, in welchem der Unterhaltsverpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, dann ist das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden, Art. 4 Abs. 3 HUK. Im Falle der Geltendmachung des Kindesunterhals vor einem polnischen Gericht wäre polnisches Recht anwendbar.

Patricia Jurewicz-Behrens

Fachanwältin für Familienrecht

Abfindung

Oftmals kommen Arbeitnehmer infolge einer Kündigung durch den Arbeitgeber in den Genuss einer Abfindung.

Bei einer Abfindung handelt es sich um eine einmalige Geldzahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag.

Zu beachten ist, dass eine Abfindung ebenso wie Einkommen zu versteuern ist. Sozialversicherungsbeiträge fallen allerdings grundsätzlich nicht an (§ 14 SGB IV).

Dabei wächst der Steuersatz bei steigendem Einkommen.

Bei einer Auszahlung der Abfindung in einem Kalenderjahr, kann die Steuerlast abgemildert werden, indem der Arbeitnehmer die Anwendung der Fünftelregelung beantragt.

Welche Vorteile bringt die sog. Fünftelregelung?

Durch die Anwendung der Fünftelregelung wird die Abfindung im Rahmen der Steuerberechnung fiktiv auf fünf Kalenderjahre aufgeteilt.

Dies hat zur Folge, dass je Kalenderjahr nur ein Fünftel der Abfindung in der Steuerberechnung zum Jahreseinkommen addiert wird.

Mithin wird ein geringerer Abfindungsbetrag – gleich einem geringeren Einkommen – niedriger besteuert.

Wie erfolgt die Berechnung der Abfindungssteuersumme?

(1) Zunächst erfolgt die Berechnung der Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen des Kalenderjahres ohne Einbeziehung der Abfindung.

(2) Daraufhin wird die Abfindung fiktiv auf fünf Jahre aufgeteilt.

(3) Demnach wird ein Fünftel der Abfindung zum Jahreseinkommen addiert und hierauf erneut die Steuer berechnet.

(4) Die Differenz der Einkommenssteuer ohne Abfindung aus (1) und die Einkommenssteuer mit Abfindung aus (3) wird mit dem Faktor 5 multipliziert.
Der daraus errechnete Betrag wird als Abfindungssteuersumme bezeichnet, d.h. die Steuer, welche bei Anwendung der Fünftelregelung für die Abfindung anfällt.

Bei Einbeziehung der gesamten Abfindung bei der Steuerberechnung eines Kalenderjahres, würde die Abfindungssumme auf folgende Art berechnet werden:

(1) Zunächst erfolgt die Berechnung der Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen des Kalenderjahres ohne Einbeziehung der Abfindung.

(2) Weiterhin wird die Einkommensteuer auf das Einkommen des Kalenderjahres samt Abfindung berechnet.

(3) Die Differenz der Einkommenssteuer ohne Abfindung aus (1) und die Einkommenssteuer mit Abfindung aus (2) stellt die Abfindungssteuersumme dar.

Wer sich allerdings eine hohe Steuerentlastung durch die Anwendung der Fünftelregelung verspricht, der muss leider enttäuscht werden. Die Steuerersparnis fällt bescheiden aus.

Was sind die Voraussetzungen der Fünftelregelung?

Die Rechtsgrundlage für die Anwendung der Fünftelregelung findet sich in § 34 I, II Nr. 2 in Verbindung mit § 24 Nr. 1 a EStG.

Zunächst müssen in dem jeweiligen Kalenderjahr die Einkünfte des Arbeitsnehmers unter Einbeziehung der Abfindung einen höheren Betrag ergeben als die Einkünfte, die er erzielen würde, wenn er bis zum Ende des Kalenderjahres seinen regulären Lohn von seinem Arbeitgeber erhalten würde.

Zudem ist erforderlich, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

Bis vor kurzem war fraglich, ob die Fünftelregelung anzuwenden ist, wenn das Arbeitsverhältnis infolge eines Auflösungsvertrages einvernehmlich beendet wurde.

Mit Urteil vom 13.03.2018, IX R 16/17 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Fünftelregelung in solchen Fällen angewandt werden darf.

Das vollständige Urteil siehe: http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&nr=37078.

Welche weiteren Möglichkeiten der Steuerentlastung bestehen in Bezug auf eine Abfindung?

1) Eine Alternative zur Fünftelregelung stellt die folgende Möglichkeit der Steuerentlastung dar.
Ist im folgenden Kalenderjahr mit einem niedrigeren Einkommen zu rechnen, so ist eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber sinnvoll, dass diese die Abfindung erst im folgenden Kalenderjahr auszahlen solle.
Durch ein insgesamt niedrigeres Einkommen im Folgejahr, wird eine dementsprechende geringere Steuersummer anfallen.
2) Eine weitere Möglichkeit, um eine Steuerentlastung herbeizuführen, kann durch eine Aufteilung der Auszahlung der Abfindung auf zwei Kalenderjahre erfolgen.
Allerdings muss vor Fälligkeit der Abfindung durch die Parteien der jeweilige Auszahlungstermin bestimmt worden sein.
Im Ergebnis ist der Betrag der Abfindungssteuersumme derselbe wie bei Auszahlung innerhalb eines Kalenderjahres. Jedoch wird durch die Aufteilung der Abfindung auf zwei Kalenderjahre zugleich die Steuerlast dementsprechend auf beide Kalenderjahre aufgespalten.

Doppelt so viel Miete durch Modernisierung?

Viele Mieter kommen mit einem Mieterhöhungsschreiben wegen einer Modernisierungsmaßnahme in unsere Kanzlei. Es stellt sich die Frage, ob der Vermieter nach einer Modernisierungsmaßnahme die Miete verdoppeln, ja sogar verdreifachen kann. Aus rechtlicher Sicht, sind solche Mieterhöhungen legal. Möglich macht dies die Modernisierungsumlage, die besagt, dass der Vermieter die Kosten einer Modernisierung auf die Miete umlegen darf. So kann der Vermieter beispielsweise eine Dachsanierung, neue Elektroleitungen oder einen Aufzug ankündigen. Investoren benutzen das Gesetz gerne dazu, um Mieter loszuwerden. Tatsache ist, dass sich eine leere Wohnung gewinnbringender verkaufen lässt, als eine vermietete. Diese Art der Entmietung nimmt in Ballungszentren zu.

 

Grundsätzlich gilt, dass nur Modernisierungsmaßnahmen umgelegt werden dürfen. Dagegen sind Instandsetzungsmaßnahmen und Instandhaltungsmaßnahmen vom Vermieter zu bezahlen.

Die Abgrenzung ist nicht immer einfach. Von Instandsetzungen ist auszugehen, wenn Schäden beseitigt werden, die aufgrund von Abnutzung, Alter oder Wettereinflüssen entstanden sind. Instandsetzungen liegen zum Beispiel vor, wenn alte morsche Fenster ausgewechselt werden, die Hausfassade neu verputzt wird, eine defekte Heizungsanlage ersetzt wird oder defekte Elektroleitungen erneuert werden. Werden beispielsweise Fenster und Türen von außen gestrichen, dann handelt es sich hierbei um eine Instandhaltungsmaßnahme.

 

Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen sind demnach vom Vermieter zu bezahlen.

 

Als Modernisierung wird dagegen eine Maßnahme des Vermieters bezeichnet, welche am Haus oder in der Wohnung vorgenommen wird und durch welche Energie eingespart wird, der Wasserverbrauch reduziert wird, der Gebrauchswert der Wohnung nachhaltig erhöht wird (z.B. den Anbau eines Balkons), die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessert werden (z.B. durch den Einbau eines Aufzug) oder durch Ausbauten neuer Wohnraum geschaffen wird.

 

Die Abgrenzung kann im Einzelnen schwierig sein, weshalb die Prüfung durch einen Rechtsanwalt wichtig ist.

Altersdiskriminierung bei der Urlaubsdauer

BAG, Urteil vom 15.11.2016 – AZR 534/15
Das Problem mit der Benachteiligung am Arbeitsplatz ist kein neues. Oftmals bestehen Konflikte wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts oder der Religion. Allerdings erfahren viele Arbeitnehmer Diskriminierung aufgrund des Alters. Dabei reicht die Spanne von älteren Arbeitssuchenden, welche aufgrund ihres zu hohen Alters im Bewerbungsverfahren abgelehnt werden bis hin zu jüngeren Arbeitnehmern, die im Vergleich zu älteren Arbeitnehmern benachteiligt werden. Zu Letzterem ist Ende des Jahres 2016 ein entscheidendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts über die Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer hinsichtlich der Urlaubsdauer ergangen. Im Folgenden wird der Sachverhalt sowie das Urteil erläutert.
In BAG Urteil streiten die Parteien über den Urlaubsanspruch der Klägerin. Dieser richtet sich nach dem Manteltarifvertrag, der in § 22 Nr. 2 festsetzt, dass den Arbeitnehmern bis zum 50. Lebensjahr ein jährlicher Urlaubsanspruch von 28 Erholungstagen zusteht. Nach Vollendung des 50. Lebensjahres soll den Arbeitnehmern eine Urlaubsdauer von 30 Tagen zustehen. Währenddessen erhalten alle Arbeitnehmer gem. § 22 Nr. 8 für geleistete Nachtarbeit einen Zusatzurlaub, der an der Anzahl der Nachtarbeitsstunden bemessen wird.
Die Klägerin, welche im Jahre 1983 geboren wurde, sieht in der Altersstaffelung beim Urlaubsanspruch des § 22 Nr. 2 eine unzulässige Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer gegenüber den älteren gemäß §§ 1, 7 AGG.
In § 1 AGG wird das Ziel es AGG geregelt, welches unter anderem die Benachteiligung aufgrund des Alters verhindern möchte. Zudem regelt § 7 AGG, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden dürfen sowie die Unwirksamkeit von derartigen Vereinbarungen.
Allerdings regeln §§ 8, 10 AGG Ausnahmen, nach denen eine Benachteiligung zulässig sein kann. Dementsprechend ist nach § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen zulässig, wenn der Grund an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübungen anknüpft. Ungeachtet des § 8 AGG ist die Benachteiligung nach § 10 AGG zulässig, wenn sie objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Darüber hinaus wird in § 10 Satz 2 AGG gefordert, dass die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind.
In dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11.2016 hat sich dieses der Klägerin angeschlossen.
Demnach stelle die Regelung des § 22 Nr. 2 eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin dar, §§ 1, 3 I AGG. Nach der Auffassung des BAG sei die Benachteiligung der jüngeren Arbeitnehmer nicht nach §§ 8, 10 AGG sachlich gerechtfertigt. Diese Klausel knüpfe nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung an, weshalb die Zulässigkeit der Benachteiligung nach § 8 AGG abzulehnen ist. Zudem sei der Grund des Schutzes der älteren Beschäftigten nicht genug konkretisiert worden. Die bloße Geltendmachung, der § 22 Nr. 2 diene dem Schutz älterer Arbeitnehmer, dessen physische Belastbarkeit mit dem Alter abnehme, genüge nicht der Darlegungslast einer Benachteiligung.
Dies hat zur Folge, dass die Vereinbarung des § 22 Nr. 2 gemäß § 7 II AGG unwirksam ist. Die Beseitigung der Benachteiligung sie lediglich durch eine Anpassung der Urlaubsdauer „nach oben“ möglich. Demzufolge hat die Klägerin bereits vor Vollendung des 50. Lebensjahres einen Anspruch auf 30 Tage Erholungsurlaub im Jahr.
Darüber hinaus hat das BAG festgestellt, dass der Klägerin weitere zwei Urlaubstage für das Jahr 2014, in dem ihr lediglich 28 Urlaubstage durch die Beklagte gewährt wurden, zustehen.
Im Folgenden finden Sie den Volltext des Urteils des BAG vom 15.11.2016 – 9 AZR 534/15:
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.11.2016, 9 AZR 534/15
ECLI:DE:BAG:2016:151116.U.9AZR534.15.0
Urlaubsdauer – Altersdiskriminierung
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 23. Juli 2015 – 4 Sa 126/15 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 20. März 2015 – 2 Ca 2288 e/14 – abgeändert.
3. Es wird festgestellt, dass der Klägerin aus dem Jahr 2014 noch zwei Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen und dass ihr über 28 Urlaubstage hinaus jährlich zwei weitere Urlaubstage zustehen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand

1
Die Parteien streiten über den Umfang des jährlichen Urlaubsanspruchs der Klägerin.

2
Die am 21. September 1983 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 2005 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Gesundheits- und Krankenpflegerin in Vollzeit beschäftigt. Die Parteien sind hinsichtlich des zwischen der Damp Holding AG und ver.di geschlossenen Manteltarifvertrags Damp vom 2. März 2010 (MTV Damp) tarifgebunden. § 22 MTV Damp enthält ua. folgende Regelungen:

㤠22 Erholungsurlaub

1.
Der Arbeitnehmer erhält in jedem Urlaubsjahr Erholungsurlaub nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

2.
Die Dauer des Erholungsurlaubs beträgt 28 Arbeitstage, nach Vollendung des 50. Lebensjahres 30 Arbeitstage. Die Lage des Urlaubs wird individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Urlaubsplanung vereinbart.

Protokollnotiz zu § 22 Ziffer 2:

Arbeitnehmern die vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages einen höheren Urlaubsanspruch haben, bleibt dieser als Besitzstand gewahrt. Maßgeblich ist der Urlaubsanspruch am 31. Dezember 2006.

8.
Für geleistete Nachtarbeit erhalten Arbeitnehmer, die in einem Kalenderjahr die folgenden Nachtarbeitsstunden geleistet haben, einen Zusatzurlaub:

ab 50 Nachtarbeitsstunden 1 Arbeitstag,

ab 75 Nachtarbeitsstunden 2 Arbeitstage,

ab 175 Nachtarbeitsstunden 3 Arbeitstage,

ab 225 Nachtarbeitsstunden 4 Arbeitstage.

Arbeitnehmer, die ständig Schichtarbeit leisten, erhalten einen Zusatzurlaub von einem Arbeitstag unabhängig davon, ob 50 Nachtarbeitsstunden erreicht werden. Schichtarbeit leisten diejenigen Arbeitnehmer, die eine Zulage nach § 15 Ziffer 14 erhalten. Die Schichtarbeit ist ständig, wenn im Kalenderjahr mindestens zehnmal diese Zulage gezahlt wurde.

Der Zusatzurlaub bemisst sich nach der im vorangegangenen Kalenderjahr erbrachten Arbeitsleistung. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht mit Beginn des auf die Arbeitsleistung folgenden Urlaubsjahres.

…“

 

3
§ 13 Ziff. 1 MTV Damp lautet wie folgt:

„1.
Mit vollbeschäftigten Arbeitnehmern soll auf Antrag eine geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart werden, wenn sie

c)
das 50. Lebensjahr vollendet haben.

…“

 

4
In den Jahren 2012 und 2013 gewährte die Beklagte ihren Arbeitnehmern jeweils 30 Urlaubstage. Hierzu erklärte sie mit Schreiben vom 29. Juli 2013, dass dies ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge und hieraus für künftige Jahre keinerlei Rechte hergeleitet werden könnten. Seit dem Jahr 2014 gewährt die Beklagte ihren Arbeitnehmern Urlaub nur noch nach Maßgabe des MTV Damp. Der Klägerin wurden deshalb im Jahr 2014 28 Tage Urlaub gewährt.

5
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 machte die Gewerkschaft ver.di für die Klägerin für das Jahr 2014 insgesamt 30 Urlaubstage geltend. Die H Damp GmbH lehnte die Gewährung von insgesamt 30 Urlaubstagen für ihre Mitarbeiter und für die Mitarbeiter der Beklagten mit Schreiben vom 11. November 2014 ab.

6
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die tarifliche altersbezogene Urlaubsstaffelung stelle eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters gemäß §§ 1, 7 AGG dar.

7
Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass ihr aus dem Jahr 2014 noch zwei Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen und dass ihr über 28 Urlaubstage hinaus jährlich zwei weitere Urlaubstage zustehen.

 

8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stünden nur 28 Urlaubstage jährlich zu. Die Begünstigung älterer Beschäftigter im MTV Damp sei gerechtfertigt. Diese seien schutzbedürftiger als jüngere Beschäftigte. Das Erholungsbedürfnis werde mit zunehmendem Alter stärker. Ältere Beschäftigte seien nachweislich häufiger arbeitsunfähig krank und es komme zu längeren Fehlzeiten. Die durchschnittlichen Krankheitstage insgesamt, aber auch im Hinblick auf die einzelnen Bereiche Pflege, Therapie und Verwaltung, seien nach Vollendung des 50. Lebensjahres höher. Die Beklagte hat hierzu eine Krankenstatistik ihrer Arbeitnehmer bezogen auf die Jahre 2012, 2013 und 2014 überreicht. Sie meint weiter, die Begünstigung diene damit dem Ziel, die Gesundheit der älteren Beschäftigten in besonderem Maße zu schützen und deren Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Im Übrigen zeige auch die Regelung in § 13 Ziff. 1 Buchst. c MTV Damp hinsichtlich einer Teilzeitbeschäftigung für „vollbeschäftigte“ Arbeitnehmer nach Vollendung des 50. Lebensjahres die Intention der Tarifvertragsparteien, Arbeitnehmer ab Vollendung des 50. Lebensjahres zu entlasten.

9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

10
A. Die Revision der Klägerin ist begründet. Der Klägerin stehen im Kalenderjahr 30 und nicht nur 28 Tage Erholungsurlaub zu.

11
I. Die Klage ist zulässig.

12
Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den streitigen Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt haben will, nicht entgegen (BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12 – Rn. 9, BAGE 149, 315; 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 9, BAGE 141, 73; vgl. BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 13 bis 15, BAGE 137, 328).

13
II. Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 iVm. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG kalenderjährlich zwei weitere Urlaubstage zu. Die Urlaubsregelung des § 22 Ziff. 2 MTV Damp verstößt gegen §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Die Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer ist sachlich nicht nach §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt und deshalb gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Dies führt zu einer Anpassung des Umfangs des Urlaubsanspruchs der Klägerin „nach oben“. Dieser stehen deshalb bereits vor Vollendung des 50. Lebensjahres im Kalenderjahr insgesamt 30 Urlaubstage zu. Für die ihr im Jahr 2014 verweigerten zwei Urlaubstage hat sie gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf entsprechenden Ersatzurlaub.

14
1. Die Urlaubsstaffelung in § 22 Ziff. 2 MTV Damp enthält eine auf dem Merkmal des Alters beruhende unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG, denn sie knüpft unmittelbar an das Lebensalter an.

15
2. Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.

16
a) Es handelt sich nicht um eine nach § 8 AGG zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen. § 22 Ziff. 2 MTV Damp knüpft nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung an. Die Tarifvorschrift beansprucht Geltung für alle dem MTV Damp unterfallenden Arbeitnehmer (vgl. zu § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD aF BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 17, BAGE 141, 73).

17
b) Die Ungleichbehandlung ist auch nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt.

18
aa) § 10 Satz 1 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ungeachtet der Regelung des § 8 AGG zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Zudem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein.

19
bb) § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG konkretisiert ua. das legitime Ziel der Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließen kann (vgl. BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 20, BAGE 141, 73). Das AGG definiert in § 10 Satz 3 Nr. 1 – ebenso wie Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG – nicht, wann ein Beschäftigter „älter“ im Sinne der Norm ist (vgl. zum herkömmlichen Verständnis BAG 18. September 2014 – 6 AZR 636/13 – Rn. 44, BAGE 149, 125). Nach dem Sinn und Zweck des Benachteiligungsverbots reicht es ohne das Vorliegen anderer Differenzierungsgründe nicht aus, dass das Alter der begünstigten Arbeitnehmer höher ist als das Alter der nicht begünstigten. Dementsprechend hat der Senat angenommen, ein Arbeitnehmer sei nach Vollendung seines 31. Lebensjahres offensichtlich noch kein älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG (BAG 13. Oktober 2009 – 9 AZR 722/08 – Rn. 55, BAGE 132, 210). Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 10 Satz 1 AGG und aus dem Regelungszweck folgt, dass die begünstigten Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters der Förderung bei der beruflichen Eingliederung oder des Schutzes bedürfen müssen (BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12 – Rn. 21, BAGE 149, 315).

20
cc) Beruft sich der Arbeitgeber darauf, eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei zulässig, obliegt es ihm darzulegen, dass mit dieser Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG angestrebt wird und dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Er genügt seiner Darlegungslast nicht bereits dann, wenn er allgemein geltend macht, die Regelung diene dem Schutz älterer Arbeitnehmer. Vielmehr hat er substanziierten Sachvortrag zu leisten (BAG 12. April 2016 – 9 AZR 659/14 – Rn. 23; vgl. BAG 22. Oktober 2015 – 8 AZR 168/14 – Rn. 50, 52).

21
dd) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nicht dargelegt, dass die sich aus § 22 Ziff. 2 MTV Damp ergebende Ungleichbehandlung wegen des Alters durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

22
(1) Die Tarifvertragsparteien haben das mit § 22 Ziff. 2 MTV Damp verfolgte Ziel nicht ausdrücklich genannt. Nennt eine Regelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus dem Kontext abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der Regelung oder der Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, um die Legitimität des Ziels sowie die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die sozialpolitischen Ziele als legitim angesehen werden, die im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 45 ff., Slg. 2009, I-1569). Denn das nationale Gericht hat zu prüfen, ob die Regelung oder Maßnahme ein rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgt. Gleiches gilt für die Frage, ob die Tarifvertragsparteien als Normgeber angesichts des vorhandenen Wertungsspielraums davon ausgehen durften, dass die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich waren (vgl. EuGH 21. Juli 2011 – C-159/10 und C-160/10 – [Fuchs und Köhler] Rn. 39, Slg. 2011, I-6919; 5. März 2009 – C-388/07 – [Age Concern England] Rn. 49 ff., aaO; vgl. auch BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12 – Rn. 30, BAGE 149, 315; 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 19, BAGE 141, 73; 13. Oktober 2009 – 9 AZR 722/08 – Rn. 57, BAGE 132, 210). Das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamierte Recht auf Kollektivverhandlungen muss im Geltungsbereich des Unionsrechts im Einklang mit diesem ausgeübt werden. Wenn die Sozialpartner Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fallen, die für Beschäftigung und Beruf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters konkretisiert, müssen sie daher unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen (EuGH 13. September 2011 – C-447/09 – [Prigge ua.] Rn. 47 f. mwN, Slg. 2011, I-8003).

23
(2) Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen (BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 23, BAGE 141, 73). Diese Annahme darf freilich nicht durch die konkrete Wahl der Altersgrenze(n) widerlegt werden (vgl. BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12 – Rn. 31, BAGE 149, 315; 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 24 ff., aaO).

24
(3) Die Beklagte hat pauschal auf die körperliche und psychische Belastung verschiedener Berufsgruppen im Klinikbereich und auf das mit zunehmendem Alter gesteigerte Erholungsbedürfnis verwiesen. Das reicht nicht aus. Sie hat nicht dargetan, aufgrund welcher konkreten Umstände unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Ermessensspielraums und ihrer grundsätzlichen Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Gruppenbildung (vgl. hierzu BAG 16. Oktober 2014 – 6 AZR 661/12 – Rn. 28, BAGE 149, 297) anzunehmen ist, dass bei sämtlichen Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von ihrer ausgeübten Tätigkeit ein gegenüber anderen Arbeitnehmern erhöhtes Erholungsbedürfnis vorliegen soll.

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(a) Der von der Beklagten behauptete Erfahrungssatz, infolge einer Abnahme der physischen Belastbarkeit sei bei Beschäftigten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, generell von einem erhöhten Urlaubsbedürfnis und einer längeren Regenerationszeit auszugehen, existiert in dieser Allgemeinheit nicht. Die Abnahme körperlicher Fähigkeiten, die auch altersbedingt sein kann (BAG 18. Oktober 2016 – 9 AZR 123/16 – Rn. 24 mwN), bedeutet nicht, dass diese unabhängig vom Berufsbild zu einem in bestimmtem Umfang erhöhten Erholungsbedürfnis führt, das zudem an bestimmten Altersstufen festgemacht werden könnte (BAG 12. April 2016 – 9 AZR 659/14 – Rn. 26). Zwar führt die Beklagte Berufsgruppen auf, deren Tätigkeiten mit besonderen Belastungen verbunden sein sollen. Die Urlaubsregelung in § 22 Ziff. 2 MTV Damp differenziert aber nicht nach Berufsgruppen. Im Klinikbereich sind auch Arbeitnehmer tätig, deren Arbeit nicht mit besonderen Belastungen, die einen solchen Ausgleich rechtfertigen könnten, verbunden ist (zB Verwaltungsmitarbeiter). Auch für diese erhöht sich der jährliche Urlaubsanspruch. Im Übrigen gilt die tarifliche Regelung auch für Arbeitnehmer, die bei Vollendung des 50. Lebensjahres noch nicht längere Zeit im Klinikbereich tätig waren. Die Begünstigung dieser Arbeitnehmer lässt sich jedenfalls nicht damit rechtfertigen, dass sie generell länger den Belastungen des Klinikbetriebs ausgesetzt gewesen seien.

26
(b) Die von der Beklagten vorgelegten Statistiken rechtfertigen keine andere Beurteilung. Etwaige Erkenntnisse daraus können schon deshalb nicht in die Willensbildung der Tarifvertragsparteien bei Abschluss des MTV Damp eingeflossen sein, da sie die Jahre 2012 bis 2014 betreffen, der MTV Damp mit der Altersdifferenzierung aber bereits im Jahr 2010 geschlossen worden war. Zudem findet der MTV Damp auf insgesamt mehr als zehn Klinikgesellschaften Anwendung. Die Statistiken betreffen aber nur die Beklagte.

27
(c) Soweit das Landesarbeitsgericht und die Beklagte darauf abstellen, Arbeitnehmer der Beklagten seien in besonderem Maße körperlichen Anforderungen, insbesondere durch Nacht-, Feiertags- und Schichtarbeit ausgesetzt, spricht dies gerade gegen die Annahme, Arbeitnehmer der Beklagten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, seien hiervon besonders betroffen. Denn § 22 Ziff. 8 MTV Damp gewährt gerade allen Arbeitnehmern, die in bestimmtem Umfang Nacht- oder Schichtarbeit leisten, zusätzliche Urlaubstage, und zwar altersunabhängig. Die Tarifvertragsparteien wollten ersichtlich einem durch Nacht- oder Schichtarbeit erhöhten Erholungsbedürfnis aller betroffenen Arbeitnehmer Rechnung tragen. Hierbei sind sie offensichtlich davon ausgegangen, dass sämtliche Arbeitnehmer durch diese besonderen Arbeitsbedingungen in gleicher Weise belastet werden und deshalb ein – altersunabhängig – gesteigertes Erholungsbedürfnis haben. Demgegenüber stellt § 22 Ziff. 2 MTV Damp ausschließlich auf das Alter ab, und zwar unabhängig von einzelnen Berufsbildern oder besonders belastenden Arbeitsbedingungen. Eine Verknüpfung zwischen besonderen Arbeitsbedingungen und bestimmten Altersgruppen stellt § 22 MTV Damp gerade nicht her.

28
(d) Soweit die Beklagte meint, der Zweck, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer Rechnung zu tragen, sei aus dem Anspruch auf Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit für ältere Beschäftigte in § 13 Ziff. 1 Buchst. c MTV Damp herzuleiten, überzeugt dies nicht. Zum einen lässt § 13 Ziff. 1 Buchst. c MTV Damp nicht zweifelsfrei auf einen solchen Regelungszweck schließen. Vielmehr können die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung auch andere Zwecke verfolgt haben. Zum anderen könnte, selbst wenn § 13 Ziff. 1 Buchst. c MTV Damp den von der Beklagten angenommenen Regelungszweck hätte, nicht darauf geschlossen werden, dass dies auch für § 22 Ziff. 2 MTV Damp gilt. Hierfür fehlen im Tarifvertrag jegliche Anhaltspunkte.

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3. Die Diskriminierung der Klägerin kann nur dadurch beseitigt werden, dass ihr im Kalenderjahr 30 Urlaubstage zustehen. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die diskriminierende Regelung unwirksam ist. Jedoch kann die Beseitigung der Diskriminierung vorliegend nur durch eine Anpassung „nach oben“ erfolgen (vgl. zur Anpassung „nach oben“: BAG 22. Oktober 2015 – 8 AZR 168/14 – Rn. 36, 62; 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 27 ff., BAGE 141, 73).

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a) Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, eine benachteiligungsfreie Regelung zu treffen, wofür ihnen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind aber für den Fall, dass gesetzliche oder tarifliche Regelungen eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, die nationalen Gerichte gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie die Regelung für die nicht benachteiligte Gruppe auch auf die benachteiligte Gruppe anwenden, ohne die Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise abzuwarten (vgl. so bereits zur Richtlinie 76/207/EWG EuGH 20. März 2003 – C-187/00 – [Kutz-Bauer] Rn. 75, Slg. 2003, I-2741). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zudem hinsichtlich der Folgen einer Nichtbeachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung darauf hingewiesen, dass die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, nur dadurch gewährleistet werden kann, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt. Damit betrifft die Anforderung des Unionsrechts, die Diskriminierung durch eine Anpassung „nach oben“ zu beseitigen, nicht nur die Vergangenheit, sondern sogar die Zukunft, weil die Anpassung „nach oben“ auch zukunftsbezogen solange vorzunehmen ist, bis eine unionsrechtskonforme Neuregelung getroffen wird (vgl. EuGH 22. Juni 2011 – C-399/09 – [Landtová] Rn. 51, Slg. 2011, I-5573; ErfK/Schlachter 16. Aufl. § 7 AGG Rn. 8).

31
b) Das gültige Bezugssystem ist vorliegend die in § 22 Ziff. 2 MTV Damp geregelte Stufe „nach Vollendung des 50. Lebensjahres“. Der Urlaubsanspruch für Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, beträgt somit (ebenfalls) jährlich 30 Arbeitstage. Auch unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 3 GG kommt daher im vorliegenden Fall nur eine Anpassung „nach oben“ in Betracht. Die Benachteiligung der Klägerin kann nicht auf andere Weise ausgeschlossen werden. Der von §§ 1, 7 AGG bzw. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgte Zweck, Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen, würde ansonsten nicht erreicht.

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4. Für das Jahr 2014 sind der Klägerin gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB zwei Tage Ersatzurlaub zu gewähren. Der Resturlaubsanspruch für das Jahr 2014 war mangels Vorliegens eines Übertragungsgrundes (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG) zum 31. Dezember 2014 verfallen. Diesen Untergang hat die Beklagte zu vertreten, weil sie sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befand. Die Klägerin hatte im Jahr 2014 Anspruch auf 30 Urlaubstage. Sie machte mit Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 13. Oktober 2014 unter der Überschrift „Geltendmachung für unser Mitglied … Fehlende Urlaubstage“ Urlaub in Höhe von 30 Tagen geltend und bat darum, „die Urlaubstage ordnungsgemäß abzurechnen“. Dahingestellt bleiben kann, ob dies schon ein konkretes Verlangen beinhaltet hat, den Urlaub im Jahr 2014 zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Senats ist hierfür zumindest erforderlich, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des § 133 BGB davon ausgehen muss, der Arbeitnehmer wünsche ab einem bestimmten Zeitpunkt Erholungsurlaub (BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 35, BAGE 141, 73; vgl. BAG 17. November 2009 – 9 AZR 745/08 – Rn. 45; 11. April 2006 – 9 AZR 523/05 – Rn. 28). Allerdings erklärte die H Damp GmbH auch im Namen der Beklagten mit Schreiben vom 11. November 2014, sie werde „Mitarbeitern, die unter 50 Jahre alt sind, keine 30 Urlaubstage gewähren“. Aus objektiver Empfängersicht lag darin eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin entbehrlich machte (vgl. hierzu BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – aaO; 31. Januar 1991 – 8 AZR 462/89 – zu II der Gründe).

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B. Die Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 
Brühler

Zimmermann

Krasshöfer

Faltyn

Matth. Dipper

 

Altersdiskriminierung in der Stellenausschreibung

BAG Urteil v. 11.08.2016, 8 AZR 406/14
Eine weitere interessante Entscheidung zum Thema der Altersdiskriminierung ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.08.2016, welches sich mit der Benachteiligung wegen des Alters bei Stellenausschreibungen befasst.
Der im Jahre 1969 geborene Kläger, welcher Diplom-Betriebswirt mit dem Schwerpunkt Personalmanagement ist, hat sich im November 2011 auf die Stellenanzeige der Beklagten, einer international tätigen Personalberatung beworben.
Bei der Stellenausschreibung handelte es sich um eine Anstellung als Junior-Consultant. In der Anzeige wurde unter anderem die Tätigkeiten beschrieben, die den Bewerber erwarten. Unter anderem fand sich die Beschreibung, dass den Bewerber eine Einarbeitung sowie Vorbereitung in Zusammenarbeit „mit einem jungen dynamischen Team“ erwarte.
Nachdem die Beklagte dem Kläger eine Absage erteilte, machte dessen Prozessbevollmächtigter Schadensersatz und Entschädigungsansprüche aus § 15 I, II AGG geltend, da es sich bei der Hervorhebung des „jungen dynamischen Team“ um eine unmittelbare Altersdiskriminierung im Sinne des § 3 I AGG handeln würde. Diese begründe auch die Vermutung der altersbedingten Diskriminierung gegenüber dem Kläger nach § 22 AGG.
Das Gericht hat geprüft, ob hierbei ein Verstoß gegen das Verbot benachteiligender Stellenausschreibung gem. §§ 11, 7 I AGG vorliege. Ist dies gegeben, so kann der Kläger aufgrund der Benachteiligung Ansprüche nach § 15 I, II AGG gegen die Beklagte geltend machen.
Das BAG sieht in der Stellenausschreibung eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach §§ 11, 7 I AGG. Bei dem Begriff „jung“ werde direkt an das Lebensalter angeknüpft und bei dem Begriff „dynamisch“ handelt es sich um eine Eigenschaft, welche grundsätzlich jüngeren Menschen zukommt. Zudem verstehe man aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers, dass die Beklagte nicht lediglich den „Ist-Zustand“ des Unternehmens beschreibe, sondern deutlich mache, dass sie ebenfalls junge und dynamische Arbeitnehmer suche.
Des Weiteren sieht das BAG in der Ausschreibung als „Junior-Consultant“ eine mittelbare Altersdiskriminierung nach § 3 II AGG, da auf eine geringe Berufserfahrung abgestellt werde, welches im Umkehrschluss bedeutet, dass Personen mit längerer Berufserfahrung, mithin typischerweise mit höherem Lebensalter, ausgeschlossen werden.
Zudem seien keine Zulässigkeitsgründe der Benachteiligung nach §§ 8, 9 AGG ersichtlich.
Das BAG gab dem Kläger recht, sodass diesem Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche gegenüber der Beklagten zustehen.

Urteil im Volltext:
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 11.8.2016, 8 AZR 406/14
ECLI:DE:BAG:2016:110816.U.8AZR406.14.0
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&sid=0d1c4ac8f799bdac732bfff9bcf2fdfa&nr=19045&pos=0&anz=1